Wenn jemand das Profil „Tekkie“ und „Unternehmerin“ in Höchstform verbinden kann, dann Dr.-Ing. Claudia Nagel. Sie gründete das PropTech-Unternehmen KIWI, das sie als Geschäftsführerin jahrelang in den Resorts Technik, Finanzen und Operations leitete. KIWI ist mittlerweile mit dem Thema digitales Schlüsselmanagement ein sehr gut positionierten Player in der Immobilienbranche. Mit dem von ihr gegründeten PropTech Company Builder High Rise Ventures unterstützt sie nun Tech-Startups in der Branche Fuß zu fassen. Außerdem ist sie als Professorin für Wirtschaftsingenieurwesen an der bbw Hochschule in Berlin und als Aufsichtsrätin der von ihr mitgegründeten Wohnungsgenossenschaft Immofemme e.G. tätig. Claudia Nagel studierte und promovierte an der TU Berlin und arbeitete neun Jahre als Consultant bei McKinsey. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.
Welche Trends setzen sich in der Bau- bzw. Immobilienbranche Ihrer Meinung nach in den nächsten 5 -10 Jahren durch?
Aufgrund des großes Kostendrucks werden wir ein starkes Wachstum im Segment der Modulbauweise insbesondere bei nachhaltigen Produkten sehen. Der Trend hin zu kompakten Formaten und Tiny Houses wird weiter verstärkt. Gleichzeitig werden wir aber auch eine stärkere Wiederbelebung im Bestand in der Stadt und im ländlichen Raum sehen, denn das nachhaltigste Gebäude ist das, was bereits gebaut ist.
Was unterscheidet ein Immobilienprojekt in 15 Jahre von einem Projekt heute (Stand 2022)?
Wenn wir die Genehmigungs- und Planungsverfahren nicht digitalisieren und streamlinen wird es noch länger dauern als heute. Daher sollten alle Akteure an einer Reduzierung der Variantenvielfalt bei den gesetzlichen Vorgaben arbeiten und mehr Raum zum Experimentieren zulassen.
Was ist Ihrer Ansicht nach wichtig, um ökologische und nachhaltige Lösungen im Baubereich für alle Beteiligten flächendeckend zugänglich und nutzbar zu machen?
Im ersten Schritt brauchen wir mehr Transparenz darüber, welche Lösungen es bereits gibt, welchen Impact diese jeweils auf den CO2 Footprint des Gebäudes haben und was diese kosten.
Bedeutet Nachhaltigkeit bei Bau- und Immobilienprojekten gleich automatisch teurer?
Das Thema Neubau wird viel diskutiert. Der Großteil der Potentiale für Nachhaltigkeit liegt allerdings im Bestand. Beim Neubau sind wir bereits auf einem sehr hohen Niveau und eine 10-20% Verbesserung erhöht die Kosten häufig überproportional. Im Bestand kann sich eine Investition in Smart Building Technologien wie Smart Metering oder solarbasiertem Mieterstrom in Kombination mit kleineren Sanierungsmaßnahmen häufig noch in weniger als 10 Jahren amortisieren.
Abseits der Digitalisierung: Welche Trends sollte jeder, der sich in der Bau- und Immobilienbranche bewegt kennen und beschäftigen?
Natürlich mit dem Thema Energiewende. Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn, wo die Wohnfläche pro Kopf weitestgehend unverändert blieb, hat sich diese in Deutschland von rund 35 m² 1990 auf mehr als 47m² 2020 erhöht. Aufgrund unserer klimatischen Bedingungen und der steigenden Energiepreisen ist das Energiemanagement daher die zentrale Herausforderung. Persönlich denke ich, dass dem Thema Einzelraumsteuerung eine höhere Bedeutung zukommen wird. In besonders kalten Perioden werden wir die beheizte Fläche stärker reduzieren wollen (müssen).
Sind digitale Innovation wirklich der Schlüssel zu einer wettbewerbsfähigen Bau- und Immobilienbranche? Wenn ja, warum?
Digitale Innovationen erlauben eine Verschlankung und Automatisierung vorhandener Prozesse. Zusätzliche können diese eingesetzt werden, um kundenzentrierter zu Arbeiten. Die Bemusterung der Eigentumswohnung kann heute bequem auf dem Tablet vom Sofa erfolgen und für alle transparent und verbindlich sein, wo früher aufwändige Abstimmungschleifen erforderlich waren, oder eben für den Kunden keine Auswahl bestand.
Sie sind nun bereit einige Jahre in der Immobilien- und PropTech Branche tätig. Was überrascht Sie in dieser Branche immer wieder aufs Neue?
Die Vielfalt der Herausforderungen und die Komplexität. Diese wird von PropTech Gründer:innen immer wieder aufgegriffen und angegangen. Diese Innovationskraft im PropTech Bereich fasziniert mich weiterhin.
Wie können digitale Methoden und Werkzeuge gelernt und intern (mit MitarbeiterInnen) kommuniziert werden, um so Berührungsängste zu überwinden?
Die Ängste beziehen sich in der Regel weniger auf „digital“ sondern eher auf das Thema eigene Prozesse und Arbeitsweisen ändern zu müssen, also „Change“ zuzulassen. Darüber muss eine Organisation in den offenen Austausch treten. Auch eine offene Fehlerkultur ist hierbei wichtig.
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